Friedrich Hielscher und Jünger – ein Interview mit Kurt M. Lehner
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Friedrich Hielscher und Jünger – ein Interview mit Kurt M. Lehner

Kurt Lehners lesenswerte Biographie Friedrich Hielscher. Nationalrevolutionär. Widerständler. Heidenpriester ist 2016 im Verlag Ferdinand Schöningh erschienen. Der Briefwechsel Jünger-Hielscher ist im Verlag Klett-Cotta erschienen.

 

Wer war Friedrich Hielscher?

Friedrich Hielscher (1902-1990) war Freikorpskämpfer und Agitator, Schriftsteller und Mystiker, Gegner der Nationalsozialisten, Gründer einer heidnischen Kirche, Freund und Gesprächspartner von Ernst und Friedrich Georg Jünger, aber auch Persönlichkeiten wie Theodor Heuß, Alfred Kantorowicz und Martin Buber. In der Weimarer Republik zählte Hielscher zu den führenden Exponenten der nationalrevolutionären Publizistik, als Kritiker des Nationalsozialismus baute er später eine Widerstandsgruppe auf. In den 1960er Jahren zunächst als magischer Guru des Dritten Reichs verklärt, verschwand Hielscher schließlich aus dem öffentlichen Bewusstsein und widmete sich seiner weitgehend geheimen, panentheistischen „Unabhängigen Freikirche“, deren Glaubensinhalte mit germanischer Mythologie illustriert waren. Mit seiner Kapitalismus-Kritik und wachsender Fortschrittskepsis steht Hielscher auch im Zusammenhang mit oft vergessenen Ursprüngen der deutschen Alternativbewegung.

 

Wo und wann berührten sich die Lebenslinien Jüngers und Hielschers?

August Winnig empfahl Hielscher 1926 an den damals schon bekannten Kriegspublizisten Ernst Jünger weiter, der zu diesem Zeitpunkt sich als Herausgeber nationalrevolutionärer Kampfblätter betätigte. In einem dieser Kleinmagazine, im „Arminius“, erschien im Dezember 1926 Hielschers Aufsatz „Innerlichkeit und Staatskunst“. Jünger, der damals in Leipzig lebte, trug sich mit dem Gedanken, nach Berlin zu ziehen. Hielscher, der seit Beginn seines Jurastudiums in Berlin lebte, ermutigte Jünger zu diesem Schritt und versuchte, bei der Wohnungssuche zu helfen. Jünger lebte von Mitte 1927 bis Herbst 1933 in Berlin und Hielscher zählte in diesen Jahren zu seinem engeren Freundeskreis. Jünger hielt Hielscher zwar einerseits für „bizarr“, war aber andererseits von dessen Fähigkeit beeindruckt, junge Leute um sich zu sammeln und diese geistig zu prägen. Auch später riß der Kontakt nie ganz ab und Jünger nahm regen Anteil an Hielschers geistigen Wandlungen.

 

Wie waren die intellektuellen Beziehungen Jüngers zu Hielscher? Wo gibt es Einflußlinien, wo Unterschiede? Wo kann man in Jüngers Werk Hielschers Echo vernehmen?

Jünger und Hielscher hatten vielfältige gemeinsame Anknüpfungspunkte: Beginnend mit der politisch-nationalrevolutionären Publizistik entwickelten beide metaphysische und spirituelle Interessen, die bei Hielscher schon früh zur Gründung einer eigenen Gemeinde führte, während Jünger sich auf die theoretische Aueinandersetzung mit religiösen Ideen beschränkte und sich sowohl mit klassischer Mythologie als mit dem Katholizismus intensiv auseinandersetzte und mehrmals die Bibel einer Gesamtlesung unterzog. Mythologische und auch sprachliche Fragen bestimmen beider Briefkontakt, dazu Politik auch nach der nationalrevolutionären Phase insofern, als beide trotz ihrer zunächst nationalistischen Gesinnung recht früh skeptisch gegenüber dem Nationalsozialismus werden. Schließlich ist auch Jüngers zunehmende Distanz zum technologischen Forschritt, für den er sich noch im „Arbeiter“ begeisterte, auf die Diskussionen mit Hielscher und natürlich Jüngers Bruder Friedrich Georg zurückzuführen.

 

Wie kamen Sie auf die Idee, eine Hielscher-Biographie zu schreiben?

Hielscher fiel mir bei der Jünger-Lektüre auf, wo er, teilweise „Bogo“ genannt, gelegentlich auftaucht. Besonders eindrucksvoll schildert er ihre Begegnung in Paris, wo Hielscher ihm von seinem Besuch im Ghetto Litzmannstadt (Lodz), aber auch der Entwicklung seiner Kleinkriche berichtet. Auch Friedrich Georg Jünger schildert Hielscher verklausuliert, aber ausführlich in seinen Erinnerungen. Schließlich gibt Ernst von Salomon ein paar prachtvolle Anekdoten über „Bogumil“ Hielscher zum besten. Ich wollte einen zusammenhängenden Eindruck von diesem offenbar seine Zeitgenossen beeindruckenden, aber eben auch skurril anmutenden „Typen“ gewinnen. Ich begann, mich systematischer mit Hielscher zu beschäftigen, und veröffentlichte 2002 einen Aufsatz über ihn, bei dem freilich nur ein geringer Teil des zusammengetragenen Materials berücksichtigt werden konnte. Nachdem zwei Monoraphien über Hielscher und weitere Texte aus seinem Nachlaß erschienen waren, fand ich es an der Zeit, Hielschers Lebenslauf einmal eingermaßen chronologisch nachzuspüren.

 

Was waren dabei die größten Herausforderungen?

Die größte Herausforderung war sicherlich, Hielschers für heutige Geister oft arg abstrus anmutende Gedankenführungen darzustellen, ohne diesen Kopf lächerlich, sondern nachvollziehbar zu machen. Dazu mußte ich ihn in das Denken seiner Zeitgenossen einbetten. Während zu Hielscher selbst relativ wenig publiziert ist, ist das geistige Umfeld publizistisch reichlich ausgewertet. Ich entschied, mich vor allem auf zeitgenössische Primärquellen zu stützen und im Bereich der verführerischen, aber eben für den Autor auch bedrohlichen Flut an Sekundärliteratur weitgehende Zurückhaltung zu üben, da eine straffe und gut lesbare Biografie mein Ziel war und nicht eine Habilitation.

 

Hat Hielscher heute ein Nachleben?

Hielscher ist heute nur denen bekannt, die sich mit Autoren wie Ernst Jünger oder Ernst von Salomon, mit denen er in intensivem geistigen Austausch stand, und mit den „Nationalrevolutionären“, der so genannten „Konservativen Revolution“ und dem antidemokratischen Denken in der Zeit der Weimarer Republik beschäftigen. In den vergangenen 15 Jahren haben die Veröffentlichungen zu Hielscher und seinem Werk etwas zugenommen: 2004 sind zwei wissenschaftliche Studien sowie einige Aufsätze erschienen, die neben der nationalrevolutionären Publizistik den Widerstandskämpfer und Kirchengründer in Blick nehmen. Aus dem Nachlaß Hielschers wurden inzwischen der Briefwechsel mit Ernst Jünger und Hielschers „Leitbriefe“ publiziert, die eine Art Katechismus seiner Kleinkirche darstellen, welche selbst aber schon zu seinen Lebzeiten in den frühen 1980er Jahren zerfallen ist.

 

Warum sollten Jünger-Leser sich für dieses Buch interessieren?

Obwohl Jünger selbst ausführlich schildert, daß er zahlreiche Anregungen aus Gesprächen mit Freunden und Bekannten und aus intellektuellen Netzwerken bezog, fand ich es sehr aufschlußreich, diese Zirkel aus dem Blickwinkel einer anderen Person wahrzunehmen. Jüngers geistiger und seelischer Werdegang gewinnt gerade im Spiegel eines anderen Geistes an Plastizität. Auch wenn Jünger immer wieder in seinen Tagebüchern Zeitgenossen und Gesprächspartner erwähnt, inszeniert er sich doch gezielt als Einzelgänger und wird auch von seinem Umfeld so wahrgenommen. Durch die Beschäftigung mit Hielscher kann man gewissermaßen den „stereoskopischen Blick“, von dem sich Jünger so fasziniert zeigt, auf ihn selbst, vor allem seine Berliner Jahre, anwenden. Am Schluß meines Buches stelle ich Hielscher und seine Kreisbildung in einen gleichsam phänomenologischen Kontext zu Rudolf Steiner und Stefan George, und auch das eröffnet einen eher ungewohnten Blick auf die nationalrevolutionären Zirkel um die Brüder Jünger und Hielscher sowie deren geistige Folgewirkungen.

 

Haben Sie noch weitere Hielscher-Arbeiten in Vorbereitung?

Nach meinem Hielscher-Aufsatz von 2002 hatte ich mir vorgenommen, mich mit dieser doch insgesamt etwas randständigen Figur nicht weiter zu befassen. Schließlich ist es doch anders gekommen. Während der Arbeit an der Biografie sind manche Fragen aufgetaucht, denen weiter nachzugehen mich reizt, aber konkret ist keine Publikation dazu absehbar.

 Kurt M. Lehner