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Interviews

Autoren über Ernst Jünger

Ernst Jünger bewegt die Gemüter. Vor allem die der Literaten, Philosophen, Journalisten und Verleger. Deshalb wollen wir an dieser Stelle in regelmäßiger Folge bekannte Autorinnen und Autoren unterschiedlichster Couleur und Herkunft nach ihrer Einstellung, ihren Erfahrungen, ihren Erinnerungen an Jünger-Lektüren oder gar an Begegnungen mit dem Autor selbst befragen. Entstehen soll so ein Kaleidoskop der Wahrnehmung und Einordnung eines Autors, der für die Reflexion der Moderne ebenso bedeutsam ist wie für die Rückholung der Vergangenheit und die Vorschau in die Zukunft. Die Interviews führt Alexander Pschera.

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Der Zoologe Josef Reichholf bewundert in Jünger den Staunenden angesichts der Wunder der Natur und hatte selbst bedeutsame Dalmatinische Aufenthalte.

 

 

In welcher Lebensphase ereignete sich Ihre Jünger-Lektüre?

Die Subtilen Jagden las ich bereits kurz nach deren Erscheinen gegen Ende meines Zoologie-Studiums als ich gerade (1969) meine Doktorarbeit über Wasserschmetterlinge schrieb. Einige Jahre später kam ich mit eigenen Käferforschungen erneut auf die Subtilen Jagden zurück. Sie begeisterten mich ein zweites Mal und beeindruckten noch mehr. Doch erst in den 1990er Jahren ergab sich für mich eine weitere intensive Beschäftigung mit Ernst Jünger, ausgelöst von eigenen Käfererlebnissen in Kroatien, die sehr stark an seinen Dalmatinischen Aufenthalt erinnerten. Sie veranlassten mich zur weit ausgreifenden Lektüre von Ernst Jüngers Veröffentlichungen, vor allem seiner Reisetagebücher.

 

Was beeindruckt Sie an Jüngers Werk, was mißfällt Ihnen? 

Am meisten beeindruckten mich seine gleichermaßen sprachbildmächtigen wie präzisen Schilderungen der Natur, wie sie in einzigartiger Weise verdichtet in seinen Erlebnissen mit den Käfern zu finden sind. Dass bildhafte Eindrücke weitgehend Selbstzweck bei Ernst Jünger wurden und ihm das Bild, das er sich aus seinen Betrachtungen geformt hatte, als Erklärung für die Schönheit oder Besonderheit vollauf genügte, oder dass er das Geschaute einfach für unerklärlich erklärte, „missfällt“ der naturwissenschaftlichen Sicht. Denn viele „Wunder“ seiner Käfer lassen sich sehr wohl erklären, was ja nicht bedeutet, dass dadurch das Staunen und die Begeisterung beeinträchtigt würden.

 

Gibt es einen Text Jüngers, der in Ihrer Erinnerung eine besondere Stellung einnimmt?

Für mich als Zoologen sind dies natürlich die Subtilen Jagden und die Reisetagebücher

 

Hat Jünger irgendwo in Ihrem Werk eine Spur hinterlassen?

Durchaus, und zwar vor allem in meinem Essay „Adriatische Küsten“ (Scheidewege Bd. 37:159-170, 2007). Darin ging ich direkt auf Ernst Jüngers Dalmatinischer Aufenthalt von 1934 ein, da sich beeindruckende Übereinstimmungen mit seinen Schilderungen von Korčula nach dem Jugoslawienkrieg in den späten 1990er Jahren ergeben hatten. Nach seinem Tode war ich aber bereits gebeten worden, einen größeren Nachruf für DIE WOCHE zu schreiben („Die Beute des subtilen Jägers“ 8. Mai 1988) und Ernst Jünger in einem „Portrait“ für die Zeitschrift NATUR zu würdigen („Ernst Jünger. Jäger der Käfer“ – Natur 1/1999: 83-85.). Diese Herausforderungen erweiterten und intensivierten meine Beschäftigung mit seinem Werk.

 

Wenn Sie Ernst Jünger mit einem Satz beschreiben müßten, welcher wäre das?

Mit wenigen Blicken konnte er Bilder oder Geschehnisse erfassen und das Geschaute mit einzigartiger Sprachgewalt schildern.

 

Welche Frage würden Sie Ernst Jünger gerne stellen?       

Entzaubert Ihrer Meinung nach die wissenschaftliche Forschung die Natur?

 

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Der Philosoph und Heidegger-Herausgeber Peter Trawny folgt verschiedenen Spuren Jüngers und spürt einen  großen Trost, wenn er Jüngers Texte liest.

 

 

In welcher Lebensphase ereignete sich Ihre Jünger-Lektüre?

Ich hörte von Ernst Jünger im Jahr 1982, anlässlich der Verleihung des Goethe-Preises. Ich war 18 Jahre alt, hatte gerade eine intensive Nietzsche-Phase hinter mir, in der Schule auch Thomas Mann (Tod in Venedig) gelesen. Der Aufruhr um Jünger zog mich an. Ich besorgte mir die „Marmorklippen“ und „Das abenteuerliche Herz. Zweite Fassung“. Ich verstand die Proteste nicht, oder ich verstand sie nur zu gut. Seitdem gab es immer wieder Zeiten, in denen ich mich Jünger näherte, um mich wieder zu entfernen.

 

Was beeindruckt Sie an Jüngers Werk, was mißfällt Ihnen?

Der Blick auf die Dinge. Es gibt in ihm ein starkes Einverständnis, einen amor fati, der das Schreckliche anerkennt. Diese anarchische Furchtlosigkeit hat für mich etwas Tröstendes. Sie fließt auch in Jüngers Stil ein, ist vielleicht sein Stil. Seltsamerweise hatte ich bei kaum einem anderen Autor sonst diese Trosterfahrung.
Es gibt bei Jünger, wie übrigens auch bei Heidegger, zuweilen einen Hang zum Kitsch. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn es nicht Autoren gäbe, bei denen dieser Hang nicht zu finden ist (Hölderlin, Kafka, Celan).

 

Gibt es einen Text Jüngers, der in Ihrer Erinnerung eine besondere Stellung einnimmt?

Für mich hatten die „Gestalt des Arbeiters“ und die „totale Mobilmachung“ stets eine Aura. Hier wird in emblematischer Sprache etwas vom Charakter der Moderne eingefangen. Unheimlich, dass „Der Arbeiter“ 1932 erscheint. Wichtig ist für mich auch, dass Jünger selber später Schwierigkeiten mit dem Buch hatte. (Man sollte einmal das ganze „Arbeiter“-Manuskript edieren.)
Besonders berührt hat mich „Jahre der Okkupation“. Es gibt einen nüchternen Schmerz in diesem Tagebuch, natürlich unausgesprochen.

 

Hat Jünger irgendwo in Ihrem Werk eine Spur hinterlassen?

Die Frage ist für mich eigentlich zu groß. Aber ich möchte ihr nicht ausweichen.
Abgesehen davon, dass ich über den „Arbeiter“ eine meiner Meinung nach immer noch interessante Untersuchung geschrieben habe (Die Autorität des Zeugen), habe ich von Jüngers Geisteshaltung gelernt. Einverstanden zu sein, sich den Erfahrungsmöglichkeiten auszusetzen, sie nicht durch Doktrinen welcher Art auch immer zu bornieren, die Dinge anzuschauen, anzuhören, an ihnen teilzunehmen, Anteil zu nehmen. Gerade deswegen aber auch zu wissen, woran ich nicht teilnehmen möchte. Freilich hat Jünger das in einem unerreichbaren Maße vorgemacht.

 

Wenn Sie Ernst Jünger mit einem Satz beschreiben müßten, welcher wäre das?

Sein Werk zeugt für die Freiheit des Zeugen.

 

Welche Frage würden Sie Ernst Jünger gerne stellen?

Was ihn dazu gebracht hat, sich so spät zum Katholizismus zu bekennen.

 

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Der Schriftsteller Uwe Tellkamp schätzt vor allem den genau beobachtenden Essayisten Jünger, weniger den Kriegsschriftsteller, ist aber grundsätzlich der Meinung, moralische Kritik an der berühmten „Burgunderszene“ sei kunstfremd.

 

 

In welcher Lebensphase ereignete sich Ihre Jünger-Lektüre?

Interesse hatte ich für ihn schon früh, doch gab es – meines Wissens – in dem Land, in dem ich aufwuchs, nichts von ihm zu lesen. Das änderte sich mit der Wende. Zuerst las ich das „Abenteuerliche Herz“ in der Reclam-Ausgabe, fasziniert von einem Klassiker, der Betrachtung der „Tigerlilie“.  Das war vor etwa fünfundzwanzig Jahren. Ich lese Jünger bis heute, immer wieder in den Tagebüchern und in den „Subtilen Jagden“.

 

Was beeindruckt Sie an Jüngers Werk, was mißfällt Ihnen?

Mich beeindruckt der trockene, intellektuell federnde Stil seiner betrachtenden Prosa, etwa in den „Subtilen Jagden“, „Siebzig verweht“, den Reisetagebüchern; ich mag etwas an ihm, das ich als spezifische Goethenachfolge bezeichnen würde: Jüngers naturkundliche Prosa, wieder die oben schon erwähnten „Subtilen Jagden“, das „Abenteuerliche Herz“, die Stadterkundungen seiner Pariser Tagebücher. Salopp gesagt: den Käfer- und Buch-Jünger. Den Kriegs-Jünger mag ich dagegen weniger.  Und zwar nicht deshalb, weil er politisch heute inkorrekt ist, das hat meine Sympathie, sondern weil er meiner Meinung nach schlechter schreibt als der Käfer-Jünger. Ich konnte auch seinen eigentlich belletristischen Texten nie wirklich etwas abgewinnen, auch nicht den berühmten „Marmorklippen“. Das ist mehr Allegorie als Erzählung, jedenfalls ist es nicht so erzählt, daß es mich überzeugt. Jünger ist, finde ich, am stärksten als Essayist in der Goetheschen Tradition der Naturbetrachtung, die den  Anspruch auf Wissenschaftlichkeit mit Kunst verbindet. Werke dieser Traditionslinie sind im deutschen Sprachraum selten, im französischen und englischen stehen dafür etwa die Namen Fabre, Ponge, Gracq, Wallace, Manley Hopkins.

 

Gibt es einen Text Jüngers, der in Ihrer Erinnerung eine besondere Stellung einnimmt?

Die „Subtilen Jagden“. Und, natürlich, das Glas Burgunder auf dem Dach des „Raphael“. Hier besonders die Aufregung, die diese Textpassage im deutschen Feuilleton erregt hat. Wenn wir alle Schriftsteller zweifelhaften Charakters und moralisch fragwürdiger Ein- und Auslassungen aus dem Kanon werfen würden, würde von der Literatur nichts übrigbleiben, oder nur die dritte Klasse. Brecht, wie Benjamin berichtet, wollte mal eben hunderttausend Berliner abschlachten lassen. Darüber aber hat sich keiner aufgeregt. So gesehen, erscheint mir die Erregung um die Burgunderszene heuchlerisch, und abgesehen davon kunstfremd.

 

Hat Jünger irgendwo in Ihrem Werk eine Spur hinterlassen?

Im Text „Der Rote Cucujus“.

 

Wenn Sie Ernst Jünger mit einem Satz beschreiben müßten, welcher wäre das?

Zerstörung und Fassade: Nach außen Haltung, ein Ritter von der Stoischen Gestalt, nach innen ein Anarchist.

 

Welche Frage würden Sie Ernst Jünger gerne stellen?

Reisen bis an den Rand der Anständigkeit, gelegentlich darüber hinaus – ist das nicht selbstverständlich für einen Künstler, der den Namen verdienen will? Woher die Illusion, Künstler müßten besonders gute Menschen sein?

 

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Der Journalist und Autor geistreicher Bestseller (Smalltalk – die Kunst des stilvollen Mitredens, 2014; Weltgeschichte to go, 2016) Alexander Graf von Schönburg-Glauchau hatte die „Stahlgewitter“ im Tornister, als er als junger Mann vor Ort über den Jugoslawienkrieg berichtete. Er ist im Übrigen der Meinung, die deutsche Pop-Literatur hätte sich von selbst erledigt, wären Kracht & Co. damals schon aufmerksame Jünger-Leser gewesen.

 

 

In welcher Lebensphase ereignete sich Ihre Jünger-Lektüre?

Wo warst du als die Mauer fiel? Wo warst du als Diana starb? Wann hattest Du das erste Mal ein Buch von Jünger in der Hand? Was sagt das über einen Schriftsteller, wenn sich fast jeder an die erste Begegnung mit ihm genau erinnern kann? In meinen Fall kann ich das ziemlich exakt datieren. Es war Oktober 1991, ich war 22 Jahre alt. Als Kind der 70-er und 80-er Jahre war ich derart friedensverwöhnt, dass ein Krieg in Europa, der Jugoslawienkrieg, eine seltsam aufrüttelnde Wirkung hatte. Als am 7. Oktober 1991 ein serbisches Kampfflugzeug das Zagreber Regierungsgebäude unter Beschuss genommen hatte und die Schlacht um Dubrovnik wütete, hielt mich nichts mehr in meiner Studentenbude in London. Über Frankfurt flog ich nach Split, um möglichst nah am Geschehen zu sein. Ich arbeitete damals bereits als Journalist, frei, mit wechselnden Auftraggebern, aber niemand hatte mir den Auftrag erteilt, nach Kroatien zu fliegen. Mich trieb – wenn ich ehrlich bin – ein Gefühl, für das die englische Sprache das Wort „exhilaration“ bereithält. Ich war aufgekratzt und sensationslüstern. Freilich hielt ich gebührend Abstand. Aus sicherer Distanz, von der Pool-Bar meines Hotels in Split, verfolgte ich über meinen Weltempfänger das Kampfgeschehen und las in einem mitgebrachten Buch. Was wohl? „In Stahlgewittern.“ Vorhin habe ich das Exemplar, das ich damals in Split dabei hatte, aus dem Regal gefischt. Es fiel mir ein Zettel mit meiner Handschrift in die Hand. Für einen Moment durfte ich hoffen, auf tiefschürfende Notizen, auf eine interessante Flaschenpost aus der Vergangenheit an mich selbst gestoßen zu sein. Auf dem Zettel stand: „Hajducki Cevap, Struckli aus Zagorje, Gänseleber, Scampi vom Rost.“

 

Was beeindruckt Sie an Jüngers Werk, was mißfällt Ihnen?

 

Bis auf Joseph de Maistre und Dostojewski hatte ich noch nie bei der Lektüre eines Autors das Gefühl, einen Lehrer vor mir zu haben, der die Natur des Menschen, die Gesetzmäßigkeiten der Welt so klar erleuchtet. Bei Maistres Worten klingt aber teilweise eine Gefühlskälte und eine Gnadenlosigkeit heraus, die erschaudern lässt. Dostojewski untergräbt seine Klarsicht manchmal durch Überschwang. Bei Jünger ist alles klar, präzise, abgemessen. Was mir mißfällt? Mir mißfällt seine Rezeption. Für die Gefühlskälte, die man bei de Maistre sehr wohl beobachten kann, die aber Jünger oft zum Vorwurf gemacht wird, kenne ich etliche Gegenbeispiele. Ich empfehle jedem, der dieses Vorurteil immer noch pflegt, die Lektüre seiner 1944 verfassten Schrift „Der Friede“. Wie er dort, mit Blick auf das sich abzeichnende Ende des Krieges, ein friedliches, vereintes Europa skizziert, erfüllt fast schon den Tatbestand des Gutmenschentümlichkeit. Wer heute, im Zeitalter von Smartphones und Komplettdigitalisierung, in einer Zeit, in der es für alle Probleme technische Lösungen zu geben scheint, „Der Friede“ liest, erschaudert angesichts der Klarsicht und der prophetischen Fähigkeiten des „Chefs“. Dort steht zum Beispiel: „Wenn die Bekämpfung des Nihilismus gelingen soll, so muß sie sich in der Brust des Einzelnen vollziehen. Ein jeder ist beteiligt, und es gibt keinen, der nicht der Heilung bedürfte, die durch die Welt des Schmerzes vorbereitet ist. Hierzu ist nötig, daß auch im Leben des Einzelnen die Technik auf ihr Gebiet verwiesen wird, genau so, wie es in der Staatsverfassung geschehen muß. Die Mittel und Methoden des technischen Denkens dürfen nicht dorthin übergreifen, wo dem Menschen Glück, Liebe und Heil erwachsen soll. Die geistig-titanischen Kräfte müssen von den menschlichen und göttlichen getrennt und ihnen unterstellt werden. Das ist nur möglich, wenn die Menschen sich metaphysisch stärken im gleichen Maße, in dem die Technik wächst.“ Hammer, oder?

 

 

Gibt es einen Text Jüngers, der in Ihrer Erinnerung eine besondere Stellung einnimmt?

 

Allerdings. Auf meinem Nachtkasten liegt „Autor und Autorenschaft“. Fast jeden Abend blättere ich darin und lese eine oder zwei Passagen. Als Textchef von BILD ist das für mich eine Sache der Gewissenhaftigkeit. Den Tipp, regelmäßig in „Autor und Autorenschaft“ zu lesen, verdanke ich Martin Mosebach. Als ich ihn einmal fragte, was die beste Methode sei, um sich sprachliche Marotten, Phrasenhaftigkeit und mangelnde Präzision abzugewöhnen, empfahl er mir regelmäßige Dosen dieses Vademecums.

 

Hat Jünger irgendwo in Ihrem Werk eine Spur hinterlassen?

 

Glücklicherweise nicht. Die Schnoddrigkeit, die Selbstgefälligkeit, die Blasiertheit mit der ich und meine Freunde, die heute allgemein als „Pop-Literaten“ gelten, Ende der 90-er Jahre an den Tag legten, wäre im Keim erstickt worden, wenn wir damals schon die Jünger-Lektüre hinter uns gehabt hätten. Unsere Ignoranz war aber notwendig, um unbelastet zur Tat zu schreiten. Natürlich hatte der eine oder andere von uns schon ein Jünger-Buch in der Hand gehabt, aber wirklich gelesen hatte es offenbar keiner von uns, ob Kracht, ob Bessing, ob Nickel oder Stuckrad-Barre, sonst hätte dies uns allen Wind aus den Segeln genommen.

 

Wenn Sie Ernst Jünger mit einem Satz beschreiben müßten, welcher wäre das?

 

Wie wäre es mit einem Wort? Désinvolture!

 

Welche Frage würden Sie Ernst Jünger gerne stellen?

 

Warum die Erdbeere im Burgunder-Glas?

 

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Der Journalist Matthias Matussek lernte Jünger durch Heiner Müller kennen und schätzt den Autor als einen entschiedenen Apologeten der Bewußtseinserweiterung, die er für sein nächstes Buch auch gleich selbst ausprobiert hat.

 

 

In welcher Lebensphase ereignete sich Ihre Jünger-Lektüre?

Spät. Ich hatte ihn in meinen Studienjahren der Germanistik in den linken 70er Jahren nur als anrüchige Figur auf dem Radar, bis ich mit Heiner Müller die Ostberliner Nachwendewahl whiskytrinkend, in Liegestühlen, im Fernsehen anschaute. Da zitierte er Jünger, und zwar mit dem Satz des Capitano aus den „Marmorklippen“: “Kein Glas Sekt war köstlicher als jenes, das man uns an die Maschinen reichte in der Nacht, da wir Sagunt zu Asche brannten.“ Er lächelte dabei. Was für ein – heute würde man sagen: menschenverachtender – Krieger-Satz. Radikal, kühl, ungerührt. Ich las daraufhin „Auf den Marmorklippen“ und entdeckte die Schönheit in dieser kristallenen, genauen Insektenforscher-Sprache, und ich entdeckte die antifaschistische Warnung darin, die bekanntlich Goebbels so zur Raserei brachte, dass er Jünger gleich internieren wollte. Hitler dagegen hielt seine Hand über ihn, den Soldaten, der im Ersten Weltkrieg so tapfer und heldenhaft gekämpft hatte, wie in seinen Kriegstagebüchern „In Stahlgewittern“ nachzulesen ist.

 

Was beeindruckt Sie an Jüngers Werk, was mißfällt Ihnen?

Die Unabhängigkeit. Die mönchische Gefasstheit, sein Leben lang. Der aristokratische Mut. Unfassbar, was dieser Mann erlebt hat und wie neutral und ohne Pathos er darüber schreibt. Es ist, als sehe er sich dabei zu, während die feindliche Kugel fliegt. Dieser Fatalismus, der ihm die genaueste und klarste Beobachtung möglich macht. Er schreibt ohne jedes Zittern in der Hand. Dieser Wagemut, diese Neugier übrigens galt auch seinen Experimenten mit Drogen, von denen er alle ausprobiert hat. Bewußtseinerweiterung interessierte ihn, damit war er anschlussfähig an die Hippie-Generation. Verrückt: Der Krieger und die Kriegsdienstverweigerer hatten plötzlich ein gemeinsames Interesse. Joschka Fischer vertraute mir mal an, dass er, wie alle seine Genossen, das 1970 erschienene Drogen-Buch „Annäherungen. Drogen und Rausch“ gelesen habe wie die Bibel. Wobei es mir schwer fällt, zu glauben, dass Fischer je ausgiebig die Bibel gelesen hat. Jünger lehrt, dass das Moralische kein Kriterium der Kunst sein muss, ja darf. Als ihm 1982, auf Vorschlag des jüdischen Schriftstellers Rudolf Hirsch, der Goethepreis in Frankfurt verliehen werden sollte, protestierten die Grünen mit den Worten: „Uns ist es relativ gleichgültig, ob Ernst Jünger ein guter oder schlechter Schriftsteller ist. […] Er war und ist ein durch und durch unmoralischer Mensch.“ Was natürlich gegen den Grünen Schmocks und für Jüngers Artistentum spricht.
Gibt es einen Text Jüngers, der in Ihrer Erinnerung eine besondere Stellung einnimmt?

Das oben erwähnte Drogenbuch, das ich allerdings erst später in die Hand bekam. Es ist wahrscheinlich sein lustigstes und privatestes, etwa die Episode, als er nach dem ersten Kriege aus einem alten Apotheker-Tiegel das Haschisch herauslöst und konsumiert in diesem Hotel in Halle, in dem er mit seiner Mutter abgestiegen ist. Ihm kreist der Kopf, Schwindelgefühle, Kreislaufkollaps. Seine Mutter ist geistesgegenwärtig genug, um ihm einzuschärfen, den alarmierten „Ordnungskräften“ nichts zu verraten, und mit einem starken Kaffee ist die Krise überwunden. Er hat umfassendes Wissen und alles probiert: Cannabis, LSD, Kokain, Opium. Er plädiert für die Freigabe von Drogen, zumindest im Alter, denn, so seine recht plausible Überlegung, wenn der äußere Bewegungsradius schrumpft, sollte es erlaubt sein, den inneren Erlebnisraum zu vergrößern.

 

Hat Jünger irgendwo in Ihrem Werk eine Spur hinterlassen?

Nein. Ich bin Journalist, ich setze viel zu sehr auf dramatische Effekte, auf Polemik, auf Zuspitzungen, die Jünger nie nötig hatte. Allerdings habe ich mich für mein nächstes Buch an seinen Drogenerfahrungen bedient, denn auch ich bin der Meinung, dass der Drogenkonsum legalisiert werden sollte.

 

Wenn Sie Ernst Jünger mit einem Satz beschreiben müßten, welcher wäre das?

Ein tapferer, todesverachtender Kämpfer, ein stolzer Geist und Naturforscher vom Range eines Goethe, ein beeindruckender Stilist, vorurteilsfrei, gleichzeitig eisern diszipliniert und dionysisch aufgeschlossen, mit Neugier bis zum Schluss, und was für ein Leben!

 

Welche Frage würden Sie Ernst Jünger gerne stellen?

Was halten Sie von der Willkommenskultur, von der Neuansiedlung von einer Million muslimischer Familien, von einem Deutschland ohne Grenzen?

 

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Für den Büchner-Preisträger Martin Mosebach, von dem zuletzt der Roman „Mogador“ erschien, ist Jünger ein „versprengter Soldat“ und zugleich ein Nachfahre jener „Abenteurergestalten des 18. Jahrhunderts“, die der Autor „so sehr liebte“.

 

 

In welcher Lebensphase ereignete sich Ihre Jünger-Lektüre?

Meine Jünger-Lektüre verlief unsystematisch. Als Student las ich die „Afrikanischen Spiele“, die mich entzückten, und „Gärten und Straßen“, auch sehr anregend, weil mit ersten Frankreichreisen zusammenfallend. Ende zwanzig dann die „Strahlungen“, die mich zwischen dreißig und vierzig immer wieder begleitet und zum Blättern verführt haben. Danach  das „Abenteuerliche Herz“, mein Lieblingsbuch. Nach fünfzig „Autor und Autorschaft“, dem ich in schwierigen Lagen immer noch zutraue, ein befreiendes Wort für mich vorrätig zu halten. In den letzten Jahren erst die „Marmorklippen“ und vor kurzem „An der Zeitmauer“.

 

Was beeindruckt Sie an Jüngers Werk, was mißfällt Ihnen?

Da ist eine Geistesgegenwart und Wahrnehmungsfähigkeit, die gelegentlich schon übernatürliche Grade besitzt, er ist ganz Hirn und ganz Auge. Sein Schöpfen aus Wissenschaft und Mythos, Natur und Religion. Seine Zeitgenossenschaft bei gleichzeitiger Zeitfremdheit, eine Bereitschaft, durchlässig zu sein für wirkliche Prophetie, für mediales Erleben. Ein genialer Namenerfinder: Köppelsbleek, Rautenklause, Kniébolo, Oberförster. Fremd bleibt mir das Stoische – „nec spe nec metu“ -, aber das ist eine Charakterfrage – ich halte auch für möglich, daß es ihn etwas gekostet hat, diese Haltung zu erwerben. Sie geht allerdings notwendig mit einem Verzicht auf Humor, Komik und Selbstironie einher, und das ist durchaus ein Preis. Aber ich habe mir abgewöhnt, von einem Autor alles verlangen zu wollen.

 

Gibt es einen Text Jüngers, der in Ihrer Erinnerung eine besondere Stellung einnimmt?

Sollte ich eine kurze Passage aus seinem Werk vorlesen, würde ich „Die Farbe Rot“ aus dem „Abenteuerlichen Herzen“ wählen. Dieses Stück gleicht einer sich öffnenden Blüte, die sich immer weiter entfaltet und immer mehr Blätter zeigt, bis sie eine bedrohliche, gefräßige Riesengröße erreicht hat – ein Sprachkunstwerk wie ein schöner Alptraum.

 

Hat Jünger irgendwo in Ihrem Werk eine Spur hinterlassen?

Als ich zum ersten Mal „Strahlungen“ las, stieß ich auf eine Episode, in der Jünger in einer Pariser Kirche einen aufgebahrten Leichnam sah. Die wenigen Sätze regten mich zu einer kleinen Erzählung an, die ich „Weisse Blumen“ nannte (sie ist viel später erst in einem Erzählungsband erschienen). Ich schickte sie Jünger, und er dankte mit einer Postkarte, auf der ein nach ihm benannter sehr blasser Schmetterling abgebildet war.

 

Wenn Sie Ernst Jünger mit einem Satz beschreiben müßten, welcher wäre das?

Ein versprengter Soldat in unwegsamem Gelände, der sich mit Kompaß und Landkarte, mit Untersuchung von Fußspuren, Pflanzen und Tieren und immer wieder mit dem Blick zum Himmel und zu den Sternen orientieren will.

 

Welche Frage würden Sie Ernst Jünger gerne stellen?

Jünger ist ein Autor, der tatsächlich zu Fragen anregt, weil man vermutet, daß er mehr weiß als andere Menschen – daß er womöglich sogar in die Zukunft schauen kann. Er hat ein geheimnisvolles Air, als sei er in Dinge eingeweiht, die sich der Alltagserfahrung entziehen – vielleicht teilt er das mit  den Abenteurergestalten des 18.Jahrhunderts, die er so liebte, Cagliostro und dem Grafen von St.Germain. Ich habe mehr als einmal das starke Gefühl gehabt, er habe gelegentlich Blicke in die Zukunft getan. Aber ich vermute auch, die Antwort zu kennen, die er der Frage geben würde, auf welche Weise man sich für die Prüfungen der Zukunft wappnen solle: durch die Einübung der Geduld, und so muß ich meine Frage denn gar nicht stellen.

 

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Büchner-Preisträgerin Sybille Lewitscharoff, deren letztes Werk Das Pfingstwunder 2016 im Suhrkamp Verlag erschien, kann als eingefleischte Kafka-Verehrerin Jünger „schwerlich mit Haut und Haar verfallen“.

 

 

In welcher Lebensphase ereignete sich Ihre Jünger-Lektüre?

 

Ungefähr ab Mitte zwanzig las ich in Ernst Jüngers Werken. Es verlockte mich damals, mich mit der Lektüre selbst ein wenig vertraut zu machen, weil er damals bei den jüngeren Leuten noch rundheraus abgelehnt wurde.

 

Was beeindruckt Sie an Jüngers Werk, was mißfällt Ihnen?

 

Beeindruckt haben mich später seine Tagebuchaufzeichnungen, die literarischen Werke haben mich nie so richtig überzeugt. Salopp gesagt: für mich ‚kitschelt’s da a weng.’ Eine glühende Kafka-Verehrerin kann Ernst Jünger schwerlich mit Haut und Haar verfallen. Nebenbei bemerkt – ich war überrascht, als ich eine Aufzeichnung seiner Stimme hörte. Ich hatte sie mir kräftiger, um nicht zu sagen ‚soldatischer’ vorgestellt. Sie klingt aber hoch und dünn, nicht sonderlich mannhaft.

 

Gibt es einen Text Jüngers, der in Ihrer Erinnerung eine besondere Stellung einnimmt?

 

Ja. Wichtig blieben seine Tagebücher, weil sie Eindrücke vom verheerenden Krieg geben, die nicht nur von den Opfern stammen. Allerdings hat mich das Buch des Schwaben Hermann Lenz mit dem Titel „Neue Zeit“ ungleich stärker gepackt. Lenz war als Soldat nach Rußland abkommandiert worden und hat das Chaos des Krieges eindrucksvoll beschrieben.

 

Hat Jünger irgendwo in Ihrem Werk eine Spur hinterlassen?

 

Nein.

 

Wenn Sie Ernst Jünger mit einem Satz beschreiben müßten, welcher wäre das?

 

Zweifellos war er ein mutiger Mann, der sich im Zweiten Weltkrieg zu einer erstaunlichen Klarsicht durchringen konnte, obwohl das nicht unbedingt in den Sternen stand, die über seinem erstaunlichen Leben walteten. Man verstehe diese Floskel jetzt aber bitte nicht falsch: von Astrologie halte ich rein nichts. Ich glaube ungleich stärker an die Entscheidungsfreiheit des Menschen.

 

Welche Frage würden Sie Ernst Jünger gerne stellen?

 

Ob er, wo immer er jetzt weilen mag, einen Weg gefunden haben mag, sich mit Juden zu verständigen, die vom Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B getötet wurden … – mit einigen Juden, die überlebt hatten, ist ihm dies ja bereits zu Lebzeiten gelungen.“